Wermutstropfen - Eine Pflanze, Bitterstoffe und eine Redensart

Hinter einem Wermutstropfen steht weniger das alkoholische Getränk Absinth – jenes traditionsreiche Destillat, das klassischerweise aus Wermut, Fenchel und Anis besteht und häufig noch um Kräuter wie Ysop, Melisse, Angelikawurzel, Koriander oder Pfefferminze ergänzt wird – sondern vielmehr eine Redewendung, deren Anfänge in der Bibel zu finden sind.

Bitter, bitterer, Wermut!

Wermut (Artemisia absinthium) ist ein aromatisches, stark bitter schmeckendes Kraut aus der Familie der Korbblütler. Ähnlich bitter sind beispielsweise das Tausendgüldenkraut, Enzian, Löwenzahn und Beifuß.

Schon in der Antike wurde Wermut als Heilmittel und Gewürz genutzt, etwa zur Anregung der Verdauung, als Wurmmittel oder als Bestandteil von Getränken wie Absinth und Wermutwein. Die ausgeprägte Bitterkeit prägte den kulturellen und sprachlichen Umgang mit der Pflanze entscheidend.

Wermut als Symbol für Leid und Strafe

Wermut findet nicht nur in den großen Kräuterbüchern der Frühen Neuzeit – etwa bei Pietro Andrea Matthioli (1501 bis 1578; Arzt und Botaniker) oder Adam Lonitzer (1528 bis 1586; Arzt und Naturforscher) – ausführliche Erwähnung, sondern wird bereits in der Bibel mehrfach beschrieben. Dort steht Wermut sinnbildlich für Bitterkeit, Leid und göttliches Gericht und hat so auch die spätere metaphorische Bedeutung des „Wermutstropfens“ geprägt.

So heißt es in der Bibel etwa in Jeremia 9,14–15, Gott werde die Menschen „mit Wermut speisen und mit Giftwasser tränken“. Auch in den Klageliedern und im Buch Amos wird Wermut als Metapher für bitteres Unrecht verwendet. Im Neuen Testament, in der Offenbarung 8,10–11, trägt ein Stern den Namen „Wermut“; er fällt ins Wasser, macht es bitter und bringt den Tod über viele Menschen. Diese symbolische Aufladung prägte die spätere metaphorische Verwendung des Begriffs im christlich geprägten Sprachraum.

Vom Heilmittel zum geflügelten Wort

Die Wendung „Wermutstropfen“ bezieht sich ursprünglich auf einen Tropfen einer bitteren Wermut-Zubereitung, wie sie in der Volksmedizin und Pharmazie gebräuchlich war. Ein kleiner Tropfen genügte, um eine Flüssigkeit merklich zu verändern – eine Erfahrung, die leicht ins Bildhafte übertragen werden konnte: ein kleiner, bitterer Bestandteil trübt etwas ansonsten Angenehmes. So entwickelte sich die heutige Bedeutung: ein „Wermutstropfen“ ist ein kleiner, aber spürbarer Nachteil in einer insgesamt positiven Situation.

Der Wermutstropfen als bildhafte Redensart

Eine der ältesten bekannten Erwähnungen des Begriffs „Wermutstropfen“ stammt aus dem Jahr 1766 aus der Feder des Theologen Jordan Simon (1719 bis 1776). Er schreibt: „kann ein einziger Tropfen Wermut die Süssigkeit verbittern“ – und meint damit, dass niemand gänzlich vor Unglück oder Schicksalsschlägen bewahrt bleibt, so selig und besonnen das Leben auch erscheinen mag.

In den folgenden Jahrzehnten wird der Begriff in der Literatur immer wieder als Gegenpol zur Leichtigkeit und Freude des Lebens aufgegriffen. So heißt es im Drama „Otanes“ (1787) der Dichterbrüder Christian und Friedrich zu Stolberg-Stolberg (1748 bis 1821; 1750 bis 1819): „dies träufelt in den Kelch der Freuden einen Wermutstropfen hinein“. Das Bild vom bittersüßen Kontrast zwischen Glück und Störung verdichtet sich hier weiter.

Auch der Prediger Johann Christian Gottbert Johannsen (1793 bis 1854) greift die Wendung auf. In seinem Werk „Aufschwung zu dem Ewigen“ formuliert er: „in den Kelch seiner Leiden der bitteren Wermutstropfen noch mehrere zu gießen“ – hier steht der Ausdruck ganz im Zeichen der Verstärkung von Schmerz und Kummer.

Doch nicht alle Autoren sahen in den „Wermutstropfen“ ausschließlich eine Belastung. Der Pfarrer Ernst Brenning (1841 bis 1909) deutete sie auch positiv: Für ihn sind es die „kleinen heilsamen Wermutstropfen“, die zu Bodenständigkeit und Demut im Denken und Handeln zurückführen.

Schließlich findet die Redensart auch Eingang in die lexikographische Literatur: 1888 beschreibt Wilhelm Borchardt in seinem Werk „Redensarten“ die Bedeutung ausgehend von der Pflanze selbst. Das „Tröpfchen Wermut“ sei „das bittere Dekokt der Artemisia absinthium, das die Kraft habe, eine wohlschmeckende Flüssigkeit, der es zugesetzt wird, in eine unangenehm schmeckende zu verwandeln.“

So spannt sich der Bogen der Wendung vom medizinisch-botanischen Ursprung über die literarische Bildsprache bis hin zur lexikalischen Erklärung. Aus einem konkreten, sinnlich erfahrbaren Geschmack ist eine sprachliche Metapher geworden, die bis heute den kleinen, aber spürbaren Makel im ansonsten Guten bezeichnet.

Auch interessant:

Quellen:

  1. Stolberg-Stolberg, C. und Stolberg, F. C. (1787): Schauspiele mit Chören
  2. Rütjes, H. G. (1841): Die Erstlinge meiner Musen
  3. Johannsen, J. C. G. (1820): Aufschwung zu dem Ewigen, in einer Reihe evangelischer Reden
  4. Zimmerer, E. A. (1896): Wermut oder Absinth. IN: Kräutersegen. Die Bedeutung unserer vorzüglichsten heimischen Heilkräuter in Sitte, Sage, Geschichte und Volksglauben ; ihr wirtschaftlicher und industrieller Nutzen und ihre praktische Verwendung als Hausmittel ; für die Jugend, das Volk und deren Freunde zur Belebung einer religiös-sinnigen Naturanschauung
  5. Borchardt, W. (1888): Das Tröpfchen Wermut. IN: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund nach Sinn und Ursprung erläutert
  6. Brenning, E. (1883): Geschichte der deutschen Literatur
  7. Simon, J. (1766): Von der guten Ordnung. IN: Philosoph der Sitten

       

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Sie wollen uns etwas mitteilen? Dann freuen wir uns auf Ihren Kommentar.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachten Sie, dass alle Kommentare vor der Veröffentlichung geprüft werden.